Ausbauprojekt einer Höhlenwohnung in Göreme, Kappadokien
- Türkei
Projektleitung: Andus Emge 1998 - 2000
"Tokalilar"
ist die Bezeichnung für das westlich oberhalb der Ortschaft Göreme angrenzende
Flurgebiet. Es zeichnet sich durch eine Vielzahl von in den Tuffelsen geschlagenen
Taubenhäusern aus, die sich zum "Uzun Dere", dem Tal Richtung der
höher gelegenen Nachbarortschaft Uchisar hin, aneinanderreihen.
Im Jahre 1998 konnten zwei aneinandergrenzende Grundstücke (Flurnummer
844) an einem Felskegel am Ortrand von Göreme käuflich erworben werden,
die seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr genutzt wurden und sich daher
in einem weitgehend zerfallenen Zustand befanden. Außer den in den Felskelgel
geschlagenen Höhlenräumen waren an den anderen angebauten Gebäudeteilen
teils außerordentliche Erosionskräfte am Mauerwerk und der Dachkonstruktion
zu verzeichnen, die ein dringendes Handeln erforderlich machten.
Baugeschichte:
Der Felskegel angrenzend dem Grundstück 844 stellt ein Zeugnis
frühester christlicher Besiedlung dar. Nicht nur an der Außenseite des
weitläufigen Höhlenkegels finden sich Spuren alter, längst erodierter Räumlichkeiten,
von denen heute oft nur noch in Ansätzen Reste von ehemaligen gehackten
Innenwänden finden. Diese Höhlenanlagen waren ursprünglich durch versteckte
Steigkamine und geheime unterirdische Gänge miteinander verbunden.
Auch in einigen Räumen im heute noch zugänglichen Inneren der Höhlenanlage
finden sich Bauelemente mit Gestaltungsspuren wie etwa Rundbögen
und anderen Dekorelementen, die auf die Nutzung zu spätbyzantinische
Zeit vor etwa tausend Jahren hinweisen.
Tatsächlich deuten die defensiv konzipierten Reste der erkennbaren ehemaligen
Raumanlagen sowie der Ersosionszustand des Tuffkegels 844 aber auch darauf
hin, daß die erste Nutzung zu Sieldungszwecken bereits in die Mitte des
ersten Jahrtausends zu datieren ist, als die Region Kappadokien durch die
wiederholten Perser- und Arabereinfälle starker militärischer Bedrohung
ausgesetzt war. <vergleiche die Ausführungen
zur Geschichte Kappadokiens von A.Emge>
Ebenfalls mehrere Jahrunderte alt ist die Tradition, Taubenschläge aus
dem Tuff zu schlagen, mit dem Zwecke den dort gesammelten Guano später
als Dünger auf die Felder zu bringen. Auch auf dem Grundstück Tokalilar
844 finden sich gehöhlte Taubenschläge mit den typischen Nistnischen in
dem Felsenkegel, die in mehreren Etagen bis in die Spitze des Kegels hinein
ausgestaltet sind.
Eine weitere Besonderheit der klassischen Höhlenwohnungen Kappadokiens
stellen die weitverbreiteten Mostanlagen und Traubenpressen dar, die auch
heute noch - shirahane - genannt, den Bauern zum keltern der Trauben
genutzt werden. Diese Anlage besteht aus zwei übereinander angeordeten
Aussparungen, wobie die oben liegende als breitetes, leicht abfallendes
Tretbecken gestaltet ist, von welchem dann durch eine kleine Öffnung der
ausgetretene Most in das darunter angeordnete Auffangbecken gelagt.
Der Saft dient traditioneller weise vor allem zur Zubereitung von Traubensirup
- pekmez - sowie zur Herstellung von Wein.
Bautechnischer Zustand beim Erwerb:
Wasser und Bewuchs sowie Frost führten vor allem zu einem starken Zerfall
des Mauerwerks mit
entsprechenden Folgeschäden. Auch die von der Witterung weniger betroffenen
Räume besaßen weder Fenster noch Türen und auch alles sonstige bautechnische
Inventar war mit den Jahren abhanden gekommen. Neben den erwähnten Mängeln
durch Ersosion waren viele Räume durch jahrzehntelange Nutzung von offenen
Feuerstellen übermässig durch Rußablagerungen geschwärzt, was vielerorts
zu Tauwasserschäden und Steinfrass führte. Manche früher einmal vorhandene
Durchbrüche waren früher einmal mit groben Mauerwerk geschlossen worden
und die meisten Treppenzugänge nicht mehr nutzbar. Zudem waren die wichtigen
Mauern waren oft bis auf die Fundamente zusammengefallen oder nicht mehr
in der alten Form nutzbar, einige Dächer mit tragenden Balken zusammengestürzt.
Natürlich gab es in dem Anwesen weder Strom noch Wasseranschluß, geschweige
denn Kanalisation oder Telefon.
Erste Schritte:
Provisorische Nutzung der Räumlichkeiten und erste Erschließung.
Neben der Grundbucheintragung wurden Anträge zur Erschließung der Wasser-
und Stromversorgung, sowie eines Telefonanschlusses gestellt, die problemlos
erfolgten, da sich das Grundstück innerhalb der Siedlungsgrenzen befand.
Die ersten Anschlüsse wurden vorübergehend gelegt und dienten vor allem
dazu, die bautechnischen Arbeiten beginnen zu können. Weiter wurde
ein Antrag zur Restaurierung der Höhlenwohnung bei der lokalen Stadtverwaltung
Göremes sowie bei Kulturamt in Nevsehir gestellt, die ebenfalls im Rahmen
einfacher Umbaumassnahmen genehmigt wurden.
Nach Überprüfung der Bausubstanz im Detail wurden in einer ersten Phase
vor allem Reinigungs und Erdhubarbeiten durchgeführt, um zum Teil verschüttete
Räume bzw, zerfallenes Mauerwerk freizulegen. Die Räume wurden in alter
Technik neu gehackt, in dem von erfahrenen Meistern die oberste vom Ruß
geschwärzte Schicht abgetragen wurde, so daß das darunter liegende poröse
Tuffgestein wieder atmen und aushärten konnte. Ein weiterer Vorteil dieser
Reinigungsarbeiten war die erhöhte Helligkeit in den Räumen, die das nur
begrenzt durch die Öffnungen einfallende Licht besser reflektierte.
Planungen:
Zur sinnvollen Bauaufnahme der bisherigen Substanz wurde ein Kooperationsprojekt
mit dem Institut für Baugeschichte der Technischen Universität Berlin durchgeführt,
welches im Sommer 1999 ein dutzend Studenten und Tutoren zu Ausbildungszwecken
bereitstellte, den Kegel 'Tokalilar 844' mit den angrenzenden Grundstücken
zu vermessen. Aus diesem Aufmaßprojekt gingen Grundriß und Aufmaßpläne
der nutzbaren Räumlichkeiten des Höhlenkegels und der anliegenden Räumlichkeiten
hervor, die im Masstab von 1:50 mit größter Genauigkeit angefertigt wurden.
< http://baugeschichte.a.tu-berlin.de/
>
Pläne & Zeichnungen
Tokalilar 844 - Güvercinlik Sokak - Aydinli Mahallesi -
TR 50180 Göreme Kasabasi:
<Längsschnitt>
<Ebene + 2>
<Ebene 0>
<Ebene -2>
<Ebene - 3,5>
Bauliches Ziel ist vor allem der Ausbau der lokalen Höhlenanlage in möglichst angepasster Weise und unter Berücksichtigung alter Methoden der Baukonstruktion. Soweit als möglich soll ein vertretbarer Kompromiß bezüglich Authentizität, moderner Nutzung und aktueller Wohnfunktion gesucht werden. So wird im eigentlichen Bau- und Restaurierungsvorhaben die Einfachheit der Linie in dem kompklexen Agglutinat aus Höhlenkegel und Architektur gesucht und gepflegt, um somit die Bedeutung des eigentlichen - durch die Natur geformten - Tuffkegel nicht einzuschränken.
So wird in diesem Bauprojekt nicht, wie heute leider vielerorts üblich mit üppigen neokitschig erscheinenden Dekorelementen gearbeitet, sondern hier soll die Klarheit des Materials und der klassischen Architektur Kappadokiens für sich alleine sprechen. Dies setzt neben dem sorgfältigem Studium der Wohnkultur <vergleiche die Dissertation von A.Emge (1990) über das "Wohnen in den Höhlen von Göreme" > auch einen besonnenen Umgang mit dem Material voraus. So wurden für den Wiederaufbau der Mauern alte und oftmals schwer zu beschaffende Steine wiederverwendet, anstelle sie durch Neue maschinell geschnittene zu erzetzen. Ähnliches gilt für Türen und Fenster, auch wenn hier oftmals neue Schreinerarbeiten in altem Stil und nach typischem Muster in den Ausbau Einzug finden.
Tatsächlich ist aber angestrebt, das Gebäude auch in Zukunft einer größeren Anzahl von Besuchern in möglichst breitfächerigen Nutzung zur Verfügung zu stellen. Das betrifft vor allem den Ausbau der lokalen Infrastruktur, die insbesondere die Bereitstellung von Wasseranschlüssen, Heizung, Bädern, Stromkreisläufen, Telekommunikation sowie Internetzugang gewährleisten soll.
Gegenwärtiger Stand:
Momentan [Sommer 2000] befindet sich das Anwesen vor der Fertigstellung der
Rohsubstanz auf der südöstlichen Hälfte. Der rückwärtige nach Westen gerichteten
Teil mit der Flurbezeichnung 844 harrt weiter eines detaillierten Restaurierungsplanes,
um einige Schwachstellen in den Stützkonstruktionen sowie angebaute Fassaden
zu erneuern und ergänzen. Die Infrastruktur inklusive Wasser. Strom und Internetnutzung
ist ebenso erfolgreich installiert, wie die Nutzungsmöglichkeit von Satellitenfernsehen.
Ein kleines Gartenarial mit diversen Blumengewächsen und jungen Obstbäumen bietet
eine ebenso schöne Aussicht, wie die neubetonierten und somit wasserabführenden
Flächen auf der Dachoberseite der an den Felskegel agglutinierten Anbauten.